CLOWNSFISCH- von den dingen die nur noch mein Körper weiß

Flottmann-Hallen, Herne NRW / Theaterstück 90 min / 2024

»Clowns have no gender« – ist dieser Satz von Annie Fratellini ein Fakt, eine Verheißung oder ein Irrglaube? Wer oder was ist ein Clown? Ist er ein Freak, Idiot, Narr, Trickster oder Buffon? Und: Wer lacht eigentlich über wen? Die Kirsten Burger begreift »Clown« als generischen Begriff für die vielen Varianten komischer Figuren und als zutiefst persönliche Angelegenheit.

Die Paradoxien des Clowns bieten der Kompanie dabei einen Ansatzpunkt, um den fixen gesellschaftlichen Regeln und Mustern zu entkommen und die Frage zu stellen, ob die westeuropäische kollektive Imagination der Clownsfigur als Grenzgänger, erwachsenes Kind, beheimatet zwischen Lachen und Weinen, männlich und weiblich mit der ihr inhärenten Ambivalenz uns nicht die Chance gibt, aus dem Konzept der Binarität auszusteigen und das Konstrukt der zwei Geschlechter zu transformieren?

Bei CLOWNFISCH treffen wir auf der Bühne auf vier Exemplare von Clowns, die jeweils in ihrer eigenen Welt die Parameter von »gender« verhandeln – bewusst oder unbewusst, staunend oder borniert. So schlittern und rutschen sie durch das Kontinuum tradierter Geschlechterdefinitionen … und fragen sich nicht zuletzt: was ist eigentlich eine Hose?

Kim de LHorizon

„Das Kind steht vor dem Spiegel und spielt Großvater. Es zieht sich den Joggingkörper an: das Hüpfen, das Arme locker an die Seite. Es zieht sich den Fußballkörper an: das Breitsein, das plötzlich Losrennen, die Verwandlung der Schultern in Doppelschultern, in Schulterbrettern. Das sich in den Schritt Fassen so: hrmpff, einfach nicht mit Buchstaben gesagt, sondern mit Gliedmaßen. Das Dastehen, die Hände auf der Hüfte. Das Ausrufen: Hey, das war Faul. Einwurf, Einwurf. Eckball. Scheiße. Die Stimme aus der Hüfte. Es zieht sich Großvaters Feierabendkörper an. Das Schlurfen, das sich Liegenlassen wie eine Schneckenspur, das Tasche hinstellen. Der Blick wie ein Sonntagabend im Januar.“….
„Das Kind muss sich bald entscheiden, die Leute fragen schon: na du, bist du ein Junge oder ein Mädchen?“ Es schaut die anderen Kinder an. Die meisten haben sich schon entschieden. Sie stehen in Zweierreihen und schauen erwartungsvoll. Das Kind fragt sich: wie funktioniert diese Entscheidung. Ist es ein magischer Vorgang? Muss man es der Sprachmutter sagen, die dir im Körper sitzt? Und sie gibt dir einen Zauberspruch, den musst du so langre aufsagen bis der Satz dir ins Fleisch wächst, bis der Satz verfleischt , einkörpert, überblutet.“

Aus: Blutbuch. 2022.

Paul B. Preciado

„Identität ist nicht etwas, das wir sind, sondern etwas, das wir tun. Sie ist performativ und entsteht durch Handlungen und Praktiken. Indem wir diese Performativität anerkennen, können wir die Starrheit des binären Geschlechtssystems in Frage stellen und neue Formen von Identität und Gemeinschaft schaffen. Die Anerkennung der performativen Natur von Identität ermöglicht es uns, die festen Kategorien von Mann und Frau zu destabilisieren und fluidere, inklusivere Formen des Selbst auszudrücken. Dies eröffnet Raum für vielfältige, queere Lebensweisen und die Schaffung von Gemeinschaften, die auf Solidarität und gegenseitigem Respekt basieren.“

Aus: „Testo Junkie: Sex, Drugs, and Biopolitics in the Pharmacopornographic Era“, 2008.

Kae Tempest

„How can I trust what anybody else stands for if I don’t know what I myself am about? It’s true that if people generally approve of what I’m saying, it is easier to believe that what I’m saying has worth. But when they stop approving, where will that leave me? Unable to ascertain whether or not what I have to say has any validity? I have to get a sense of my motives beyond the blinkered duality of approval or disapproval. It doesn’t define me. I was born fallible and I’ll die fallible, just like everyone else, no matter how much goes right or wrong in my life.“

Aus: On connection. 2022.

Stimmen von Native Americans

„Wir wurden als two-spirit people gesehen, was bedeutet, dass wir alle etwas Besonderes sind, weil wir das Männliche und das Weibliche in uns haben und das gibt uns eine besondere Art, die Welt zu betrachten und zu sehen, wie die Dinge laufen. So (…) hat man ein tieferes Verständnis für das große Ganze.“

„In den Stämmen des Great Basin nennen sie es das Korb- und Bogen-Ritual, bei der ein junger Mann im Alter der Pubertät, oder eine junge Frau, die Wahl zwischen dem Korb und dem Bogen hat. Wenn sich in dem Fall der Mann für den Bogen entschied, bedeutete das, dass er sein Leben als „Mann“ weiterführen würde, und wenn der kleine Junge den Korb wählte, würde er die Rolle einer Person mit zwei Geschlechtern, einer two-spirit Person, weiterführen.“

Aus: Dokumentation von Frameline „Two Spirit People“, Youtube vom 23.05.2011.

Randy Burns

„Wenn man sich einen Stock vorstellt, der an einem Ende männlich und am anderen Ende weiblich ist, dann liegen Sexualität und Geschlecht auf demselben Stock und haben entgegengesetzte Enden. Das ist die Kategorie, in der man in der europäischen Tradition gefangen ist, im Sinne von entweder-oder, hetero- oder homosexuell, männlich oder weiblich. Aber wenn man diese beiden Enden nimmt und sie so zusammen biegt, dass sie einen Kreis bilden – und die Native Americans bevorzugen Kreise gegenüber Linien – dann ergibt sich die Möglichkeit einer unendlichen Anzahl von Punkten entlang dieses Kreises. Menschen verändern sich im Laufe ihres Lebens, und so ist man nicht in einer einzigen Denkweise oder einer einzigen Art zu sein gefangen.“

Judith Butler

„Stolpern ist Teil des Lernens, und Fehler zu machen ist Teil des Lernens, besonders wenn wir etwas ganz Neues lernen.“

 

Idee & Konzept: Kirsten Burger & Franziska Pack

Regie: Kirsten Burger

Performance: Franziska Pack, Alejandro Notas, Christian Peter, Tammo Winkler , Rocío Rodríguez

Musik: Christian Peter

Bühnenbild: Tammo Winkler

Kostüm: Alexis Mersmann

Video: Rocío Rodríguez

Produktionsleitung: Andrea Oberfeld (ehrliche arbeit – freies Kulturbüro)

Gefördert durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen und dem Programm Neue Künste Ruhr.

Mit Unterstützung der Flottmann-Hallen Herne und Neuer Zirkus Ruhr e.V.

Aufführungen

Premiere: Juni 2024, Flottmann-Hallen, Herne
mehr Informationen:
https://neuekuensteruhr.de/events/clownfisch
https://neuerzirkus.ruhr/stueck-nkr/clownfisch/
https://www.flottmann-hallen.de/